Musste Oleg Benin seine Regimikritik mit dem Leben bezahlen?
15. September 2010Freunde und Kollegen des Betreibers der bekannten belarussischen oppositionellen Internetseite charter97.org, Oleg Bebenin, der Anfang September in seinem Landhaus erhängt aufgefunden worden war, bezweifeln einen Selbstmord des Journalisten und fordern Ermittlungen. Die Generalsstaatsanwaltschaft in Minsk teilte nun mit, auch einem Mordmotiv nachgehen zu wollen, obwohl bislang nur Hinweise auf einen Freitod Bebenins vorliegen würden.
Die Chefredakteurin der unabhängigen Zeitung "Volkswille", Swetlana Kalinkina, schließt nicht aus, dass der 36Jährige Opfer eines Konflikts zwischen Gruppierungen innerhalb der Behörden geworden ist. Was die Aufklärung des Falls angeht, zeigte sich die Redakteurin nicht optimistisch. In Belarus seien leider fast alle Tragödien mit Journalisten, darunter mit Dmitrij Sawadskij und Veronika Tscherkassowa, nicht ordnungsgemäß untersucht worden.
Ungeklärte Fälle
Der Kameramann des Fernsehsenders ORT, Dmitrij Sawadskij, war am 7. Juli 2000 verschwunden. Bis zu seinem Wechsel zum Fernsehen war Sawadskij persönlicher Kameramann des belarussischen Präsidenten Aleksandr Lukaschenko. Obwohl es im Fall Sawadskij einen Prozess gab, bei dem die Entführer des Journalisten zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, gibt es bis heute keine Antworten auf die Fragen: Was geschah mit Sawadskij, lebt er noch, und wenn nicht, wo ist sein Grab?
Veronika Tscherkassowa arbeitete als Journalistin bei der Zeitung "Solidarität". Sie wurde am 20. Oktober 2004 in ihrer eigenen Wohnung brutal ermordet. Menschenrechtler gehen bis heute davon aus, dass der Mord mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammenhängt. Dies schließen die Behörden aber aus. Tscherkassowas Mörder wurden ebenfalls nie gefunden.
Oppositionelle vermisst
Der stellvertretende Vorsitzender der Belarussischen Journalistenvereinigung, Andreij Bastunez, meint, Verbrechen gegen Journalisten unabhängiger Medien und belarussische Oppositionspolitiker hätten eines gemeinsam: sie blieben meist ungeklärt.
Seit Jahren wollen Menschenrechtler wissen, was mit dem einstigen Vizevorsitzenden des Obersten Sowjets, Viktor Gontschar, mit dem ehemaligen Innenminister, General Jurij Sacharenko, sowie mit dem Geschäftsmann Anatolij Krasowskij geschehen ist. Sacharenko verschwand am 7. Mai 1999 in Minsk, Gontschar gemeinsam mit Krasowskij am 16. September 1999 ebenfalls in der belarussischen Hauptstadt. Kurze Zeit später wurden am vermeintlichen Ort der Entführung Blutspuren der beiden Entführten gefunden. Gontschar und Krasowskij wurden später offiziell für tot erklärt, aber ihre Leichen nie gefunden.
Im Dienste der Staatsmacht
Selbst in aufsehenerregenden Fällen, scheinbar ohne einen klaren politischen Hintergrund, gibt es in Belarus Probleme bei der Aufklärung.
Zum Beispiel sind bis heute immer noch nicht die Verantwortlichen für die Explosion vom 3. Juli 2008 im Zentrum von Minsk während eines Volksfests anlässlich des Unabhängigkeitstages ausgemacht. Damals wurden durch eine mit Schrauben und Muttern gefüllte Paketbombe etwa 50 Menschen verletzt. Wenige Tage später wurde der Sekretär des Sicherheitsrates, Viktor Schejman, abgesetzt, mit der Begründung, es sei nicht gelungen, die Explosion zu verhindern. Bis heute sind die Ermittlungen ergebnislos.
Grund dafür sei unter anderem, so die Redakteurin Swetlana Kalinkina, dass sich die belarussischen Behörden darauf konzentrierten, Menschen politisch zu verfolgen. Deswegen könnten sie ihre eigentlichen Aufgaben nicht richtig wahrnehmen. Die belarussischen Rechtsschutzorgane würden nicht Gesetze und Bürger verteidigen, sondern nur der Staatsmacht dienen.
Autor: Andrej Alechnowitsch / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Gero Rueter