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Politik

Zu Fuß aus Russland

8. März 2022

Nach dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine wurde es nahezu unmöglich nach und aus Russland zu reisen. Nahezu, denn einige Umwege gibt es noch, wie DW-Russland-Korrespondent Juri Rescheto erlebte.

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Das Ende der UdSSR
Narwa an der Grenze zu Russland ist mit rund 56.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt EstlandsBild: Juri Rescheto/DW

Klack! Der rote Ausreisestempel in meinem Pass macht den Weg frei: raus aus der Russischen Föderation, rein in die EU. Kurz vor Mitternacht darf ich das russische Staatsgebiet verlassen. Die junge Grenzbeamtin, die mir soeben den Ausreisestempel verpasst hat, lächelt freundlich: "Gute Heimreise! Fliegen können Sie ja nicht mehr.” Nein, das können wir in der Tat nicht. Zumindest nicht direkt. Gehen aber schon: zu Fuß in den Westen.

Die kleine Schranke gibt den Weg frei. Dahinter geht es durch eine große Eisentür über eine eingezäunte Brücke. Kalter Nachtwind begleitet mich auf meinem Fußmarsch mit zwei Koffern über den Grenzfluss Narwa zwischen dem russischen Iwangorod und der estnischen gleichnamigen Stadt Narwa. 162 Meter Niemandsland: links eine Autospur für die LKW, rechts unter mir das schwarze Wasser des Grenzflusses. Auf dem gegenüberliegenden Ufer strahlt mir die erleuchtete mittelalterliche Burg von Narwa entgegen, hinter mir liegt ein Land, das mit seiner mittelalterlichen Politik zur Zeit die halbe Welt gegen sich in Stellung bringt.

Entfernungen wachsen

Nach einem fünfminütigen Fußmarsch über die Drushba-Brücke, die "Brücke der Freundschaft", erreiche ich nicht nur das andere Ufer, sondern auch eine andere Welt. Von der einstigen Freundschaft zwischen Russland und der Europäischen Union ist heute nichts mehr übrig.

Brücke über den Fluss Narva
Die Brücke der Freundschaft verbindet Iwangorod in Russland und dem estnischen NarwaBild: Wikipedia

Vor dem Gang über die Grenzbrücke lagen zehn Stunden Zugfahrt von Moskau und Sankt Petersburg bis an die russisch-estnische Grenze. Nach dem Grenzübergang und einer Übernachtung in Narwa stehen mir noch eine vierstündige Busfahrt in die estnische Hauptstadt Tallinn bevor und von dort aus der zweistündige Flug nach Berlin. Was in den vergangenen sieben Jahren meines Korrespondentenlebens in Russland mit einem Direktflug von Moskau nach Berlin in zweieinhalb Stunden zu bewältigen war, dauert dieses Mal anderthalb Tage.

Grenzen auch über den Wolken

Mein Weg zu Fuß über die Grenze ist aber nicht die einzige Möglichkeit, aus Russland auszureisen. Der Luftweg steht auch noch zur Verfügung. Wer allerdings in diesen Tagen in den Westen fliegen will, muss tief ins Portemonnaie greifen und warten. Die exorbitant teuren Flüge über die Türkei oder die Vereinigten Arabischen Emiratе, Baku oder Jerewan sind derzeit gefragter denn je. Der EU-Luftraum ist für die russischen und der russische für westliche Maschinen gesperrt. Riskant ist der Luftweg auch: Manche russische Fluggesellschaften können die im Westen oder in den USA geleasten Maschinen nicht mehr benutzen. Wer also fliegt, riskiert zumindest theoretisch bei einer Zwischenlandung im Drittland am Boden zu bleiben und sein Reiseziel nicht zu erreichen, wenn die Maschine beschlagnahmt wird. Der europäische Flugkonzern Airbus und der US-Hersteller Boeing haben außerdem den technischen Service für Flugzeuge eingestellt, die im Besitz russischer Fluggesellschaften sind.

Karte EU-Außengrenze Estland DE
Narwa und Iwangorod - Nachbarstädte an der EU-Außengrenze zu Russland

Ungewissheit in Russland

Von einem Massenexodus aus Russland kann keinesfalls die Rede sein. Es sind ohnehin nicht viele, die es sich angesichts der westlichen Sanktionen überhaupt leisten können, das Land zu verlassen. Und sei es auch nur vorübergehend, denn niemand weiß, wie es weiter geht. Gerüchte über die vermeintliche Flucht einiger prominenten Pop-Stars machen hartnäckig die Runde. Manche von ihnen haben den russischen Angriff auf die Ukraine öffentlich kritisiert und haben nun Angst vor der Verfolgung durch die Sicherheitsbehörden, heißt es.

Viele, die in Russland bleiben, fürchten steigende Inflation, wachsende Arbeitslosigkeit und Verschlechterung des Lebensstandards. Seit Tagen fällt der Rubel, steigen die Kreditzinsen. Manche Wirtschaftsexperten warnen: Die russische Wirtschaft könnte in diesem Jahr um bis zu zehn Prozent schrumpfen.

Sorge in Estland

Aber auch in der estnischen Stadt Narwa auf der anderen Seite der Freundschaftsbrücke fürchten die Menschen, dass sich ihre wirtschaftliche Lage verschlechtern wird. Die seit Tagen steigenden Benzinpreise sind ein Dauerthema hier.

Was ich jedenfalls während meiner kurzen Nacht in einem estnischen Hotel merke, ist die deutlich kühlere Raumtemperatur als in Russland. Das Gas ist hier teuer.

Estland: Narwa und die Russen

 

Rescheto Juri Kommentarbild App
Juri Rescheto Studioleiter Riga