"Zukunft kann nur auf der Wahrheit über die Vergangenheit aufgebaut werden"
2. Dezember 2005Deutschland und Polen wollen ihre freundschaftlichen Beziehungen fortsetzen und intensivieren. "Wir haben eine gute Chance, dass uns das gelingt", sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit dem neuen polnischen Regierungschef Kazimierz Marcinkiewicz am Freitag (2.12.2005) in Warschau.
Marcinkiewicz sprach von einem "sehr guten Besuch" und äußerte sich "zutiefst überzeugt, dass wir heute ein neues Kapitel eröffnen". Merkel und er hätten auch über die Probleme zwischen beiden Ländern gesprochen.
Gute Chancen für das Vertriebenen-Zentrum
In Anspielung auf die Kontroversen um den Bau eines Zentrums gegen Vertreibungen betonte Marcinkiewicz, Zukunft brauche die "Wahrheit über die Vergangenheit". Er habe nicht bemerkt, dass es eine anti-deutsche Stimmung im polnischen Präsidentschaftswahlkampf gegeben habe. "Man kann nichts beenden, wo es nichts gab."
Der mitgereiste Außenminister Frank-Walter Steinmeier sieht gute Chancen für eine Lösung im Streit um das Zentrum. "Wir haben gemeinsam die Pflicht, nach Formen der Erinnerung zu suchen, die diesen Sensibilitäten auf beiden Seiten der Grenzen gerecht werden", sagte er. Ausstellungen wie die zu Vertreibung derzeit in Bonn seien solche Beispiele. Der Bund der Vertriebenen (BdV) will auf Polen zugehen. "Wir würden gerne haben, dass polnische Historiker an dem Zentrum mitarbeiten", sagte BdV-Präsidentin Erika Steinbach. Polen befürchtet, Deutschland wolle die Geschichte relativieren und sich einseitig als Opfer des Zweiten Weltkriegs darstellen.
Anschluss an Ostsee-Pipeline?
Eines der angesprochen Probleme war die umstrittene Ostsee-Pipeline für Erdgas, die russische und deutsche Unternehmen bauen wollen. Dazu wurde jetzt in Warschau eine deutsch-polnische Arbeitsgruppe vereinbart. Merkel sagte, "dass aus unserer Sicht der Zugang zu dieser Pipeline auch Dritten offenstehen sollte".
Unterstützung bei Finanzplanung
Merkel und Marcinkiewicz sprachen auch über die europäische Finanzplanung. Diese sei von besonderer Bedeutung für die neuen EU-Mitgliedsstaaten, sagte Merkel. Sie habe zugesagt, "dass wir im Ringen um einen fairen Kompromiss nicht nur unsere eigenen Interessen bedenken". Die Nachbarn im Osten brauchten dringend Mittel zum Ausbau der Infrastruktur.
Hoher moralischer Stellenwert
Für die neue Kanzlerin ist der östliche Nachbarstaat von großer Bedeutung. Die Aussöhnung mit Polen habe für sie den gleichen moralischen Stellenwert wie mit Frankreich, hat sie immer wieder betont. Doch der Besuch am Freitag war erst ein kleiner Anfang. Wenn Vertrauen da sei, könne es auch mehr Kraft geben, das Gute, das in den deutsch-polnischen-Beziehungen liege, etwas mehr zu sehen, sagte sie zum Schluss. (kas)