Ein Künstler, sein Dorf und ein Huhn
25. September 2014Es ist ein Moment, in dem Jems Robert Koko Bi aussieht, wie eine seiner Skuplturen. In seinem Gesicht regt sich keine Miene. Nur seine Augen verraten: Er ist zu Tränen gerührt. Ein ganzes Dorf ist auf den Beinen, singt, trommelt, tanzt. Paabenefla feiert ihn - fünf Autostunden von der Metropole Abidjan entfernt, am Übergang vom Buschland zur Savanne. "Es ist eine sehr große Freude für mich. Das habe ich nicht erwartet. Ich möchte mich bei Euch allen bedanken."
Koko Bi hat sich nicht allein nach Paabenefla aufgemacht: Er hat seine beiden erwachsenen Kinder mitgebracht sowie ein gutes Dutzend Journalisten und Kunstexperten der Bonner Bundeskunsthalle und des Museums Rietberg Zürich. Der Chef des Dorfes schenkt den Gästen zwei blaue Kanister mit 30 Liter lauwarmem Palmwein und ein Huhn. Bevor die männlichen Besucher die trübe Brühe trinken müssen, ehrt der Zeremonienmeister, ein Mann mit Mikrophon, die Ahnen. Er vergießt einen Becher Wein auf dem feinen rötlichen Staub. Die weiblichen Gäste raunen sich verlegen lachend zu: "Das Huhn wird doch wohl nicht vor unseren Augen geschlachtet?!" Das Huhn überlebt die Feier.
Folge deinem Stern
Dass Jems Robert Koko Bi den Sprung in die internationale Kunstwelt geschafft hat, hat viel mit Glück zu tun. "Man muss sein Glück suchen, seinem Stern folgen", sagt er. Der führte ihn 1997 mit einem Stipendium nach Deutschland, wo er an der berühmten Kunstakademie Düsseldorf studierte. Er lebt in Essen, wenn er nicht gerade in Abidjan, Japan oder Kanada unterwegs ist. Eigentlich war Koko Bis Leben vorgezeichnet, denn in Paabenefla wird man in eine Zunft hineingeboren: die der Weber, der Maskenschnitzer oder der Bauern. Koko Bi wurde als Bauer geboren. Das traditionelle Kunsthandwerk der Maskenschnitzer hat er, dessen Holzskulpturen inzwischen international gefragt sind, nie gelernt. "Als ich anfing zu arbeiten, habe ich gesagt: Ich stelle meine Ahnen dar, denn Masken kann ich sowieso nicht schnitzen. Aber ich kann meine Erinnerung darstellen." Da sind sie - Identität und Ahnen - die beiden großen Themen in Koko Bis Werk.
Zwei Tage vor dem Fest im Regenwald des Banco Nationalparks, wenige Kilometer nordwestlich von Abidjan. Früher, als Student, hat Koko Bi hier gearbeitet, von den Förstern des Nationalparks Holz bezogen: Mahagoni, Teak, Iroko. Die Familien der Waldarbeiter leben hier, mitten im Regenwald. Bei einer Frau kauft sich Koko Bi eine Flasche Bier, öffnet sie und schüttet ein paar Schlucke auf dem Boden. Für die Ahnen. Wenn er so verwurzelt ist, wie fühlt es sich dann an, in Deutschland zu arbeiten, noch dazu mit ganz anderem Holz? "Das hiesige Holz, Iroko zum Beispiel, ist eng verbunden mit der ivorischen Geschichte", erläutert er. Bei Iroko müsse er sich immer daran orientieren, was ihm das Holz vorgebe. "Deutsche Eiche ist für mich neutral. Es hat mich und meine Geschichte angenommen."
Mehr als nur Kunstgeschichte
Die Masken und Skulpturen im Nationalmuseum von Abidjan erzählen viele Geschichten. Nicht nur die der Kunstregion Westafrika. Sondern afrikanische Geschichte: Sie sind Beleg für die Ausbeutung durch den reichen Norden und von der politischen Instabilität in den Ländern des Südens selbst. Lorenz Homberger beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit der Kunst Westafrikas. Der Schweizer hat die Ausstellung "Afrikanische Meister. Kunst der Elfenbeinküste" kuratiert.
Von den 200 Meisterwerken, die noch wenige Wochen in Bonn zu sehen sind, bevor sie nach Amsterdam und Paris weiterziehen, stammen gerade mal zwölf aus dem Fundus des Nationalmuseums in Abidjan. Die anderen Werke kommen aus dem Ausland. Zur Kolonialzeit begann der gigantische Kunstraub und hielt bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg an. Noch bis in die 1960er Jahre wurden wertvolle Objekte bei Wechselausstellungen in Europa heimlich ausgetauscht, weiß Homberger zu berichten. "Das war auch der Grund, warum ich anfangs keine leichte Zeit hatte, um Leihgaben zu bitten, weil man Angst hatte."
"Afrika etwas zurückgeben"
Die Kuratoren in Europa und Nordamerika hätten alle ein latent schlechtes Gewissen, weil viele Werke auf suspekte Weise in den Westen gelangt seien. "Für eine Flasche Gin konnte man ein Kunstwerk, das heute von großer Bedeutung ist, erwerben." Werke, die auf Auktionen Millionen Euro erzielen. "Oder diese Helmmaske", sagt der Afrika-Experte und deutet auf ein Werk eines Künstlers aus dem Volk der Baule. "Diese Form hat Picasso, die Kubisten, die Fauves und die Brücke-Maler inspiriert." Kirchner und Nolde gaben das auch zu. Und Picasso? "Die Kunsthistoriker fragten ihn: Der Kubismus ist doch Afrika? Er hat nur gesagt: L'Art africain, je ne connais pas." Dabei hätte Picasso 80 afrikanische Werke in seinen Ateliers gehabt, erzählt Homberger schmunzelnd. Es sei hohe Zeit, Afrika etwas zurückzugeben, sagt er mit Nachdruck in der Stimme.
"Wenn etwas gut ist, ist es gut!"
Der Streifzug durch die ivorische Kunstszene endet bei jungen Leuten, von denen man vielleicht morgen sprechen wird. Koko Bi unterrichtet 25 Studenten, darunter zwei Frauen, an der Kunstakademie von Abidjan. "Sie wussten anfangs nicht, in welchem Geist man arbeiten soll. Ich sagte ihnen: Schaut Euch um, sucht Euch, findet Euch. Am Ende gab es eine kreative Explosion." Für die jungen Leute ist Koko Bi ein großes Vorbild: "Wir haben eine Gruppe gegründet", erzählt sein 21-jähriger Schüler, Paulin Mominé. "Unser Motto ist 'be coq'. Es ist ein Wortspiel: 'Be' wie das englische Wort für 'sein' und 'coq' auf französisch für den Hahn, dessen Schrei einen neuen Tag anzeigt." Und dann trommeln und tanzen die Studenten, in ihrem Freiluft-Atelier, das sie sich im Park der Akademie eingerichtet haben. "Kabo, kabo - danke, danke", lacht Homberger und wünscht ihnen, dass sie eines Tages wie ihr Meister den Sprung in die Museen schaffen. Die Studenten klatschen begeistert, und schmettern ihren Schlachtruf: "Quand c'est bon – c'est bon!"