EM-Gewinner und -Verlierer
2. Juli 2012Die Gewinner
Vor diesen Titelkämpfen hatte alle Welt auf ein Finale Spanien gegen Deutschland getippt. Die Spanier sind der Verpflichtung, die ein EM- und ein WM-Titel mit sich bringen, mehr oder weniger souverän nachgekommen. Der Start ins Turnier gegen Italien war holprig, danach spielten sie sich ins Turnier, wurden sicherer. Der Einzug ins Endspiel stand auf des Messers Schneide. Erst im Elfmeterschießen räumten die Spanier Portugal aus dem Weg, waren dabei sicher nicht die bessere Mannschaft. Das bisher so gefürchtete Tiki-Taka, das hochfrequente Kurzpassspiel im Mittelfeld, scheint von den Gegnern dechiffriert. Die Zuschauer werden dankbar dafür sein, denn besonders unterhaltsam ist der Ballbesitzfußball ohne echten Stürmer nicht. Lediglich im Finale zauberten die Spanier.
Dass es die Italiener ins Endspiel schafften, hätte noch vor einem Monat kaum jemand geglaubt. Aber Trainer Cesare Prandelli schaffte es, die widrigen Vorzeichen auszublenden und seine Mannschaft auf den Punkt fit zu machen. Mit Leidenschaft, taktischem Geschick und überraschend offensivem Fußball hatte die Squadra Azzurra schon in der Vorrunde Spanien beim 1:1 Paroli geboten, gegen England im Viertelfinale lag es nur an der mangelnden Chancenverwertung, dass es ins Elfmeterschießen ging, und im Halbfinale gegen Deutschland war dann auch dieses Manko abgestellt. Mario Balotelli, der Umstrittene, wurde hier mit seinen beiden Toren zum Superstar. Im Endspiel war er allerdings kaum zu sehen, seine Teamkollegen jedoch ebensowenig.
Die Verlierer
Zum Titelgewinn gibt es keine annehmbare Alternative. Basta! Wer wie die deutsche Mannschaft gespickt ist mit Ausnahmekönnern, wer eine Qualifikation mit zehn Siegen aus zehn Spielen absolviert, wer scheinbar mühelos durch Vorrunde und Viertelfinale spaziert, wer in den drei Turnieren zuvor immer Platz zwei oder drei belegt hat, der darf nicht schon im Halbfinale scheitern. Auch wenn es wieder gegen Angstgegner Italien ging. Bundestrainer Joachim Löw muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er sich hier taktisch und personell verpokert hat, und die Mannschaft, dass offenbar der letzte Siegeswille fehlt.
Noch viel schlimmer erwischte es die Niederlande. Vor zwei Jahren noch im Endspiel der WM, ging es diesmal mit drei Niederlagen schon nach der Vorrunde nach Hause. Und auch England wird, das sagt selbst Ex-Nationalstürmer Alan Shearer, immer schlechter: Das Aus kam im Viertelfinale - wieder einmal.
Der Topstar
Mesut Özil hatte vor Turnierbeginn den Anspruch an sich selbst gestellt, endlich sein ganzes Können abzurufen. Das ist ihm nur in Ansätzen gelungen, meist war er nicht mehr als ein arbeitsamer Mitläufer. Zum Topstar ist er ebenso wenig geworden wie Englands Wayne Rooney, der zudem die ersten beiden Partien noch gesperrt war, oder Frankreichs Franck Ribery. Auch von den großen Spaniern Xavi oder Andres Iniesta war mit Ausnahme des Endspiels nicht viel Spektakuläres zu sehen. Sie funktionierten im Kollektiv. Mehr nicht. Wäre Cristiano Ronaldo mit seinen Portugiesen ins Finale gekommen, ließe sich die Frage nach dem herausragenden Spieler relativ leicht beantworten. Wie nie zuvor in der Nationalmannschaft, konnte "CR7" in Polen und der Ukraine überzeugen. Neben Ronaldo werden Italiens Mittelfeldregisseur Andrea Pirlo und eben der dreifache Torschütze Mario Balotelli in Erinnerung bleiben. Torschützenkönig wurde der Spanier Fernando Torres mit ebenfalls drei Treffern, aber zusätzlich einer Torvorlage. Diese Bilanz hatte auch der deutsche Stürmer Mario Gomez vorzuweisen, doch er brauchte dafür mehr Spielminuten. Seine Tore schoss Gomez allerdings allesamt in der Vorrunde. Zu schnell sind sie in Vergessenheit geraten, um Gomez zum Superstar zu machen.
Der Sündenbock
Zwar nicht Sündenböcke, aber tragische Figuren waren auf Seiten des DFB-Teams Mats Hummels und Bastian Schweinsteiger. Hummels gab bei seinem Turnier-Debüt einen scheinbar unüberwindbaren Innenverteidiger, bis ihm der verhängnisvolle Fehler im Halbfinale gegen Italiens Cassano passierte. Und Schweinsteiger rackerte zwar wie gewohnt, hatte wie immer die meisten Ballkontakte, aber man merkte ihm an, dass er körperlich nicht fit war. Ungewohnt viele Fehlpässe, Ballverluste, kaum kreative Momente - zu wenig für einen, der zu den besten defensiven Mittelfeldspielern der Welt gehört. International blamierte sich Arjen Robben im Trikot der Niederländer. Bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Helsinki hätte er als Sprinter vielleicht mehr erreicht, aber mit dem Ball am Fuß gelang ihm diesmal wenig.
Die Gastgeber
Die Ukraine war verheißungsvoll mit einem Sieg über Schweden ins Turnier gestartet. Da hatten viele schon vom Weiterkommen geträumt. Aber spätestens ein vom Schiedsrichter zu Unrecht verwehrter Treffer gegen die Spanier im letzten Gruppenspiel brachte die Gewissheit vom Ausscheiden - obwohl doch Altstar Andrej Schewtschenko immer wieder sein Können und seine Torgefahr unter Beweis stellte.
Auch die Polen konnten ihren Heimvorteil nicht nutzen, unterlagen im entscheidenden Vorrundenspiel gegen Tschechien mit 0:1. Schade für ein solches Turnier, das auch von der Euphorie der einheimischen Fans lebt.