Kenias führende Köpfe bald vor Gericht?
10. November 2009Während des Nairobi-Besuchs von Chefermittler Luis Moreno-Ocampo wurden die kenianischen Regierungsvertreter nicht müde, ihre volle Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof zuzusichern. Persönlich wollten Präsident Kibaki und Premier Odinga das Gericht aber dennoch nicht um Ermittlungen bitten. Nun will der Chefermittler selbst prüfen lassen, ob offizielle Ermittlungen eingeleitet werden können. Eine Premiere in der jungen Geschichte des Gerichts in Den Haag. Denn bisher haben stets Regierungen oder der UN-Sicherheitsrat Fälle an den Internationalen Strafgerichtshof übergeben.
Aufklärung gefordert
Für Haron Ndubi, Rechtsanwalt und Menschenrechtler aus Nairobi, ist es höchste Zeit, dass die Gewaltverbrechen in seiner Heimat mit internationaler Unterstützung aufgeklärt werden. Die kenianische Regierung weigere sich offenbar, mit den Geschehnissen rund um die Gewalttaten nach den Wahlen von 2007 umzugehen. Sie habe zwar verschiedene Verträge mit dem Internationalen Strafgerichtshof unterzeichnet, aber keinen dieser Verträge erfüllt, sagt Ndubi. "Sie scheinen nicht bereit, die Straflosigkeit zu bekämpfen. Das Parlament hat bisher kein Gesetz verabschiedet, das die Gewalttäter endlich zur Rechenschaft ziehen könnte."
Regierung in Gewaltverbrechen verwickelt?
Für Rechtsanwalt Ndubi ist klar, warum die kenianische Regierung bisher so sehr zögerte, die Gewaltverbrechen aufzuklären. Es sollen Anhänger sowohl von Präsident Kibaki als auch vom damaligen Oppositionsführer und heutigen Premier Odinga gewesen sein, die die Menschen nach den Wahlen im ganzen Land zu Gewalttaten angestiftet und mit Waffen versorgt hatten. In Kenia ist es ein offenes Geheimnis, dass hochrangige Politiker beider Lager auf der Verdächtigenliste des Internationalen Strafgerichtshof stehen. "Wir sollten in Erinnerung behalten, dass die Gewalt ein Ergebnis der Auseinandersetzung der beiden war. Beide haben deshalb Anhänger und Finanziers, die sich auch verantworten müssten", sagt Ndubi. Premier Odinga habe bereits angedeutet, dass er bei der nächsten Wahl wieder antreten wolle. Kooperiere er jetzt jedoch mit Ocampo, so käme das in den Augen seiner Anhänger einem Verrat gleich, gibt der Rechtsanwalt zu bedenken.
Versäumnisse sollen aufgeklärt werden
Die Auswirkungen der Gewaltausbrüche sind auch heute noch in ganz Kenia zu sehen. Von den geschätzten 300.000 Menschen, die während der Ausschreitungen flüchten mussten, sind bei weitem noch nicht alle nach Hause zurückgekehrt. Offizielle Schätzungen gehen von rund 8000 Vertriebenen aus, die immer noch auf der Flucht sind. Die Dunkelziffer dürfte weitaus größer sein. Deshalb fordert Peter Kariuki, Sprecher der Vertriebenen in Kenias Zentralprovinz, dass sich die Arbeit von Chefermittler Ocampo nicht nur auf die juristische Aufarbeitung der Gewalttaten beschränken sollte, sondern auch aktuelle Versäumnisse der Regierung beachtet werden müssten. "Wir waren nicht besonders glücklich mit Ocampos Besuch. Auf seinem Programm stand ein Besuch des Nationalparks, um sich Tiere anzusehen. Wir hatten da das Gefühl, dass unsere Regierung etwas verheimlichen will." Er und viele seiner Landsleute würden sich freuen, wenn Herr Ocampo kommen würde, um mit den Menschen zu sprechen, die in Kenia leiden und seit mehr als zwei Jahren in Zelten leben müssen, sagt Kariuki.
Verlorenes Vertrauen aufbauen
Was die Menschen in Kenia nun brauchen, so Menschenrechtler Ndubi, sei ein Gefühl, dass endlich Gerechtigkeit einkehre. Dazu gehöre, dass der Internationale Gerichtshof nun möglichst bald offizielle Ermittlungen gegen die Hauptverdächtigen der Gewalttaten aufnehme. Dazu gehöre aber auch, dass die Regierung endlich die lange versprochenen Reformen umsetze. Denn über die Jahre hinweg habe sich schon ein starkes Gefühl der Ungerechtigkeit im Land breit gemacht. Die Macht und die Ressourcen würden schlecht verteilt werden. "Wir haben gesehen, was unkontrollierte Macht anrichten kann. Deshalb fordern wir Reformen der Verfassung und Verwaltung. Momentan fehlt das Gefühl der Rechenschaftspflicht auf allen Ebenen der Regierung", sagt Ndubi. Sollten diese politischen Reformen ausbleiben und sollten die Mitverursacher der gewaltsamen Ausschreitungen nicht bald vor Gericht kommen, dann, so befürchten viele Beobachter, sind die Gewaltausbrüche bei den nächsten Wahlen Ende 2012 schon vorbestimmt.
Autor: Jan-Philipp Scholz
Redaktion: Michaela Paul