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Das Recht, nicht zu veröffentlichen

Michael Knigge /ch15. Januar 2015

Einige führende US-amerikanische Medien haben darauf verzichtet, die Charlie-Hebdo-Karikaturen zu veröffentlichen, und sind dafür heftig kritisiert worden - zu Unrecht, meint Michael Knigge.

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Charlie Hebdo unter'm Arm Foto: "picture-alliance/epa/Y. Valat
Bild: picture-alliance/epa/Y. Valat

Es war ein eindeutiger und weltweiter Impuls: Nach dem abscheulichen Massaker an den Karikaturisten des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo in der vergangenen Woche haben Medien und Journalisten auf der ganzen Welt ihre Unterstützung für Meinungs- und Pressefreiheit bekundet. Viele Medien, darunter die Deutsche Welle, haben auf das Attentat mit Fotos reagiert, auf denen Journalisten Plakate mit der Aufschrift "Je suis Charlie" hochhalten. Diese Bilder wurden schnell zum globalen Symbol der Solidarität mit den Opfern. Schließlich wurde die journalistische Solidaritätsbekundung und Unterstützung der Pressefreiheit selbst zum Gegenstand der Berichterstattung und der Debatte über Charlie Hebdo. Nach dem Attentat haben viele Medien selbst Charlie-Hebdo-Karikaturen veröffentlicht, während andere sich dagegen entschieden haben. Und erneut wurde die Frage, ob Medien die Karikaturen veröffentlichten oder nicht, zum Teil einer lebhaften Debatte. Diese Debatte ist nicht nur berechtigt, sie ist auch nützlich.

Pauschale Kritik

Man kann durchaus führende amerikanische Medien wie die New York Times, das Wall Street Journal oder die Nachrichtenagantur Associated Press dafür kritisieren, dass sie unmittelbar nach dem Anschlag keine der Mohammed-Karikaturen veröffentlicht haben, um Rücksicht auf Muslime zu nehmen, die die Bilder anstößig finden. Auch die Fernsehsender CNN und Fox News haben darauf verzichtet. Doch wenn man alle diese Medien deshalb pauschal als Heuchler brandmarkt und ihnen vorwirft, durch Selbstzensur Dschihadisten nachzugeben, mag das emotional verständlich sein, es ist aber auch beleidigend und kontraproduktiv. Die Aufgabe von Medienorganisationen und Journalisten ist es, Informationen, die sie für wichtig und relevant für ihre Nutzer halten, zu beurteilen. Der Nachrichtenwert ist eines der Kriterien, die dabei oft genannt werden. Öffentliches Interesse ist ein anderer wichtiger, allerdings weniger häufig genannter Gesichtspunkt.

Michael Knigge Foto: DW/P. Henriksen
DW-Redakteur Michael KniggeBild: DW/P. Henriksen

Journalistische Fragen

Betrachten wir die Charlie-Hebdo-Karikaturen unter diesem Blickwinkel. Ist es notwendig, eine oder mehrere der Karikaturen abzubilden, wenn man den Angriff auf die Charlie-Hebdo-Redaktion und deren Hintergründe darstellen will? Anders ausgedrückt, haben die Karikaturen, die viele Muslime als beleidigend empfinden, einen eigenen Nachrichtenwert? Die meisten Journalisten würden wohl sagen, die Bilder hätten einen Nachrichtenwert, weil Charlie Hebdo ja offensichtlich ihretwegen angegriffen wurde. Die andere Frage ist, ob es im öffentlichen Interesse liegt, Bilder zu veröffentlichen, die ein Teil der Gesellschaft für anstößig oder gotteslästerlich hält. Die Antwort auf diese Frage ist weit weniger klar.

Natürlich gibt die Pressefreiheit Journalisten das Recht, Informationen zu veröffentlichen, selbst wenn ein Teil der Gesellschaft sie als beleidigend empfindet. Aber das bedeutet nicht, dass Journalisten grundlos brisante Informationen oder Bilder veröffentlichen sollten, nur weil sie das können. Stattdessen müssen sie beurteilen, ob sie die notwendigen Informationen vermitteln können, ohne die Gefühle von Menschen unnötig zu verletzen. Deshalb ist es eine Abwägungsfrage, ob man die Karikaturen veröffentlicht, und wenn ja, welche. Buzzfeed und viele andere US-Internetportale haben eine breitere Auswahl an Charlie-Hebdo-Karikaturen gebracht. Das Wall Street Journal und die Washington Post, die nach dem Attentat auf Mohammed-Karikaturen verzichtet hatten, zeigten dann das neue Charlie-Hebdo-Titelbild mit dem weinenden Mohammed. Die New York Times verzichtete dagegen auch auf dieses Bild. Jede dieser Entscheidungen kann man rechtfertigen. Das nennt man Pressefreiheit. Und sie schließt das Recht ein, nicht zu veröffentlichen.