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Medizin-Nobelpreis für drei Zellforscher

Brigitte Osterath
7. Oktober 2019

Der diesjährige Medizin-Nobelpreis geht an zwei US-Forscher und einen Briten. Sie entdeckten, wie der menschliche Körper auf Sauerstoffmangel reagiert. Eine lebensnotwendige Anpassung - nicht nur beim Bergsteigen.

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Schweden Stockholm Nobelpreis Medizin 2019
Bild: AFP/J. Nackstrand

Drei Zellforscher enthalten den berühmtesten Wissenschaftspreis der Welt für ihre Entdeckungen dazu, wie sich eine Zelle auf eine sauerstoffarme Umgebung einstellt. William Kaelin und Gregg Semenza aus den USA sowie der Brite Sir Peter Ratcliffe hätten "einen fundamentalen physiologischen Mechanismus aufgeklärt", sagte Nobelpreiskomitee-Mitglied Patrik Ernfors vom Karolinska-Institut heute in Stockholm. Dieser Mechanismus erlaube es den Menschen beispielsweise, so viele Gebiete der Erde in verschiedenen Höhen zu bewohnen.
Jeder Körper braucht Sauerstoff, um Nahrung in Energie umzuwandeln. In unterschiedlichen Höhen sind die Zellen unseres Körpers aber unterschiedlichen Mengen an Sauerstoff ausgesetzt. Auf geringere Konzentrationen zu reagieren, ist lebensnotwendig. 
Und das nicht nur beim Bergsteigen, fügt Randall Johnson, Professor für molekulare Physiologie und Pathologie an der Universität Cambridge hinzu. "Im Falle einer Wunde etwa erhält nur ein Teil des Körpers wenig Sauerstoff durch eine schlechte Blutversorgung." Beim Sport wiederum entsteht im Muskel ein vorübergehender Mangel an dem wertvollen Gas. 

"Überwältigend"
Die drei Nobelpreisträger arbeiteten seit den 1990er Jahren unabhängig voneinander daran zu verstehen, wie Anpassungen auf Sauerstoffmangel direkt auf Zellebene funktionieren. Mit ihren Erkenntnissen haben es die drei zudem ermöglicht, vielversprechende Strategien zu entwickeln, um Krebs, Blutarmut und andere Krankheiten zu behandeln.  

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"Alle drei Forscher sind herausragende Persönlichkeiten, die ein ganzes Feld bewegt haben", sagt Joachim Fandrey, Direktor am Institut für Physiologie der Universität Duisburg-Essen gegenüber der Deutschen Welle. Fandrey kennt alle drei Nobelpreisträger gut und forscht seit über 20 Jahren auf dem gleichen Gebiet. "Es war überwältigend, als ich hörte, wer dieses Jahr ausgezeichnet worden ist", sagt er. 
Schlüssel zur Zellregulation ist ein komplexes Eiweiß namens Hypoxie-induzierbarer Faktor, kurz HIF, das Gregg Semenza entdeckte. Dieser Eiweißkomplex wird kontinuierlich in jeder Körperzelle gebildet. Liegt genug Sauerstoff vor, wird es für den Abbau markiert und in der Zelle gleich wieder in seine Bruchstücke zerlegt, fanden William Kaelin und Peter Ratcliffe. 
Fandrey nennt dieses System ganz schön clever: " Wenn die Zelle ein Problem durch zu wenig Sauerstoff hat, muss sie nicht etwas komplett neu produzieren, sondern hört einfach auf, etwas abzubauen." Das geht natürlich schneller. 

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Ein natürliches Dopingmittel
Bei Sauerstoffmangel häuft sich so der Eiweißkomplex HIF in der Zelle an und bindet anschließend an spezielle Abschnitte im Zellkern. Dadurch kommt die Zellmaschinerie in Gang und beginnt, sich auf einen geringen Sauerstoffgehalt einzustellen. 
Unter anderem bilden sich neue Blutgefäße, etwa im Muskel nach dem Sport. "Das passiert natürlich nicht sofort, aber innerhalb von Tagen und Wochen", erklärt Joachim Fandrey. "Bei Beanspruchung wächst der Muskel und bildet neue Blutgefäße, damit er besser durchblutet wird und mehr Sauerstoff bekommt."
Auch bildet die Niere bei Sauerstoffmangel das Hormon Erythropoetin, bekannt unter der Abkürzung EPO. Es sorgt dafür, dass mehr rote Blutkörperchen gebildet werden, die Sauerstoff von der Lunge zu den Organen transportieren. 
EPO gelang durch zahlreiche Dopingfälle traurige Berühmtheit. Führt ein Sportler sich EPO als Mittel von außen zu, stellt auch er mehr rote Blutkörperchen her und steigert so unerlaubterweise seine Leistungsfähigkeit. Ursprünglich ist das Hormon aber eine körpereigene, lebensnotwendige Substanz. 

Symbolbild Doping
Erythropoetin kommt in jedem Körper vor. Als illegales Doping-Mittel war es etwa unter Radlern einst beliebt.Bild: picture-alliance/dpa/G. Breloer

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Hoffnung gegen Krebs 
"Der Mechanismus, den die Nobelpreisträger gefunden haben, ist ein Beispiel dafür, wie eine Veränderung in der Umwelt direkt auf die Genregulation im Körper einwirkt", sagt Hellmut Augustin, Leiter der Abteilung Vaskuläre Onkologie und Metastasierung am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Auch er kennt Kaelin, Ratcliffe und Semenza persönlich und spricht von einer "absolut angemessenen Auszeichnung".
Augustin betont, dass bei diesem Medizinnobelpreis konkrete therapeutische Anwendungen weniger im Mittelpunkt stehen. Dennoch wird das Wissen vielleicht schon bald neue Medikamente möglich machen. 
Augustin selbst forscht daran, wie Tumoren das natürliche System der Zelle ausnutzen, um neue Blutgefäße wachsen zu lassen. Dadurch bekommen die Krebszellen stets neue Nährstoffe und können fröhlich vor sich hin wachsen. Wäre es möglich, in Krebszellen in die HIF-Regulation einzugreifen, ließe sich das Tumorwachstum womöglich blockieren. 
Eingesetzt werden bereits sogenannte VEGF-Hemmer, Medikamente, die Signalmoleküle in der Blutgefäßbildung blockieren. "Es sind allerdings keine magischen Waffen", sagt Augustin. Sie bekämpfen den Tumor nicht, sondern wirken krebsunterdrückend, verlängern also die Lebensdauer der Patienten." 

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Weiße und rote Blutkörperchen
Ein gesunder Mensch bildet immer so viele rote Blutkörperchen, wie er gerade braucht. Bild: eye of science/Oliver Meckes

Medikament gegen Blutarmut 
In China wiederum kam vor kurzem ein neues Medikament namens Roxadustat gegen Blutarmut bei chronischer Niereninsuffizienz auf den Markt. Es hemmt die Enzyme, die HIF für den Abbau markiert. 
Dafür wird HIF nicht abgebaut, reichert sich in der Zelle an und sorgt dafür, dass mehr Erythropoetin in der Niere ausgeschüttet wird. Folge: Eine bessere Durchblutung und eine bessere Sauerstoffversorgung des Gewebes. 
Laut Joachim Fandrey ist das Medikament auch in Europa bereits in fortgeschrittener klinischer Prüfung und "es sieht erfolgsversprechend aus". Experten rechnen also damit, dass es in absehbarer Zeit auch in Europa und den USA auf den Markt kommen könnte. 

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An diesem Dienstag (8.10.) wird bekanntgegeben, welche Wissenschaftler den Physik-Nobelpreis bekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder ausschließlich Männer sein werden, ist recht hoch. 

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Infografik Nobelpreis Physik Verteilung Frauen Männer DE

Denn bislang bekamen ihn seit 1901 nur drei Frauen: Marie Curie 1903, 1963 Marie Göppert-Meyer, eine Deutschstämmige, die aber in die USA ausgewandert ist, sowie die Kanadierin Donna Strickland, die letztes Jahr ausgezeichnet wurde.

Marie Skłodowska Curie wurde übrigens 1911 auch mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Sie war Physikerin und Chemikerin, stammte aus Polen, lebte und arbeitete aber in Frankreich. Sie untersuchte die von Henri Becquerel beobachtete Strahlung von Uranverbindungen und erfand dafür das Wort 'radioaktiv'.

Am Mittwoch, den 9. Oktober ist Chemie dran.