So funktioniert ein Quantencomputer
24. Oktober 2019Es war in der Entwicklung von Quantencomputern ein riesiger Durchbruch: Das Forscherteam um John Martinis von der University of California in Santa Barbara haben mit einem Quantencomputer den weltweit größten Supercomputer an Rechenleistung übertrumpft. Die Forscher, die von Google unterstützt wurden, präsentierten ihre Ergebnisse am 23. Oktober in der Fachzeitschrift Nature.
Nach eigenen Angaben hat der Quantencomputer die ihm gestellte Rechenaufgabe in 200 Sekunden gelöst. Ein herkömmlicher Supercomputer hätte dafür 10.000 Jahre gebraucht. Das IT-Unternehmen IBM widersprach dieser Darstellung, sein derzeit schnellster Supercomputer Summit hätte die Aufgabe auch in 2,5 Tagen geschafft. Wie dem auch sei: Der Quantencomputer war trotzdem schneller.
Was nützt uns das? Und was ist überhaupt ein Quantencomputer? Hier einige wichtige Punkte zu der kaum verständlichen Technologie:
Bits und Qubits
Unsere bisherige Computerwelt ist digital. Das bedeutet, sie besteht aus binären Digits, sogenannten bits. In der Praxis sind das elektronische Ladezustände auf Transistoren und Chips, die entweder den Wert 0 oder 1 haben können.
In der Welt der Quantenphysik wird es ungleich komplizierter. Dort gibt es Qubits, also Quantenbits. Diese können nicht nur beide Zustände, also 0 und 1 gleichzeitig annehmen, sondern auch alle Zustände dazwischen.
Man kann sich einen Qubit wie eine Münze vorstellen: Bei einem digitalen Bit liegt sie entweder mit dem Kopf oder mit der Zahl nach oben – also 0 oder 1. Beim Qubit dreht sie sich auf dem Tisch und ist noch nicht umgekippt. Man kann also nicht entscheiden, ob Kopf oder Zahl oben ist.
Dieses Paradox hat Erwin Schrödinger 1935 am Beispiel einer Katze beschrieben, die zusammen mit Gift und einem radioaktiven Stoff in einer Kiste steckt: Man weiß zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht, ob sie gerade tot oder lebendig ist. Folglich sind beide Zustände gleichzeitig möglich. Erst wenn man die Kiste öffnet, nimmt die Katze einen festgelegten Zustand an – entweder sie lebt noch oder sie ist schon tot. In der Physik passiert das bei einer Messung – der Quantenzustand endet in diesem Moment.
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Quantenverschränkung
Dieses Phänomen lässt sich mit herkömmlicher physikalischer Logik eigentlich nicht verstehen. Albert Einstein hat sie als "spukhafte Fernwirkung" beschreiben: Zwei Quantensysteme (etwa Qubits) sind in ihren Zuständen korreliert – haben also den gleichen Zustand - aber nur so lange ihr Zustand nicht festgelegt ist.
In unserem Münz-Modell wäre das so, als ob man zwei Münzen gleichzeitig rotieren lässt. Beide – egal wie weit sie voneinander entfernt sind – nehmen den gleichen Zustand an. In dem Moment, in dem eine Münze auf die Seite fällt und ihr Zustand damit festgelegt ist, bricht die Quantenverschränkung in sich zusammen.
Ähnlich verhält sich das mit Schrödingers Katze: Hätte man zwei Kisten mit zwei Katzen, könnte zwischen ihnen eine Quantenverschränkung bestehen, aber nur solange die Kisten geschlossen sind.
Exponentiell anwachsende Rechenleistung
Weil die Qubits viele Zustände gleichzeitig annehmen können, sind sie auch in der Lage, viel mehr Rechenoperationen auszuführen als herkömmliche Bits.
Die Rechenleistung von Quantencomputern steigt zumindest theoretisch exponentiell mit der Anzahl der Qubits an. Da die Kurve immer steiler nach oben geht, müsste es eigentlich ausreichen, die Zahl der Qubits nur geringfügig zu erhöhen, um rasant steigende Rechenleistungen zu erzielen.
In der Praxis sieht es aber anders aus: Das Ganze funktioniert nur, wenn alle weiteren Rahmenbedingungen ebenfalls stimmen: Die Quantenverschränkung zwischen den Qubits muss richtig ablaufen. Die Fehlerquote muss minimal sein. Bereits kleinste Störungen führen sonst dazu, dass die Rechenleistung zusammenbricht.
Die Herausforderung an die Entwickler ist also nicht nur, immer mehr Qubits auf den Chip zu bringen, sondern auch die Präzision zu erhalten. Dazu hat Google eine eigene Fehler-Korrektur entwickelt. Sie erzielt nach eigenen Angaben eine Genauigkeit der Rechenoperationen von 99,99 Prozent.
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So ist ein Quantencomputer aufgebaut
Auf den ersten Blick sieht ein Quantencomputer aus wie ein riesiger Kronleuchter aus Kupferrohren und Drähten – so nennen die Experten auch die äußere Struktur.
In seinem Kern steckt ein supraleitender Chip, auf dem die Qubits wie auf einem Schachbrettmuster angeordnet sind. Beim Google-Quantencomputer sind es 54 Qubits, von denen einer allerdings nicht funktionierte.
Die Qubits auf dem Chip sind winzige Kondensatoren aus Niob, deren Ladungen - ähnlich den drehenden Münzen - in Schwingungen versetzt werden, also keine festgelegten Zustände haben. Zwischen ihnen liegen kleine anpassbare Koppler-Transistoren, sogenannte Resonatoren. Sie sprechen auf Mikrowellen an.
Der supraleitende Chip befindet sich aber nicht nur in einem elektromagnetischen Mikrowellen-Feld, sondern gleichzeitig auch unter extremer Kälte. Die Chips müssen auf circa die absolute Nulltemperatur heruntergekühlt werden. Beim IBM-Quantencomputer sind das zum Beispiel 0,015 Kelvin. So niedrige Temperaturen können nur erreicht werden, wenn mit verflüssigtem Helium auf eine spezielle Weise heruntergekühlt wird. Dazu kommen sogenannte Misch-Kryostaten zum Einsatz: In einer kleinen Kammer, die direkt unter dem Chip sitzt findet ein Phasenübergang einer Helium3/Helium4 Mischung statt. Dies erzeugt die extrem niedrigen Temperaturen, die das Helium alleine so nie erreichen könnte.
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Welches Betriebssystem nutzt ein Quantencomputer?
Gar keins. Die Software für Quantencomputer ist mit der für digitale binäre Rechner in keiner Weise zu vergleichen. Um die Leistungsfähigkeit ihres Supercomputers zu testen, entwickelten die Google Experten eigens eine komplizierte mathematische Aufgabe.
Der Quantencomputer produzierte zufällige Zahlen und glich diese ab – die Aufgabe war so gestaltet, dass sie per Design immer komplexere und größere Rechenkapazitäten erforderte. Ein klassischer Rechner wäre damit schnell überfordert gewesen.
Was könnten Quantencomputer in der Zukunft bringen
Visionäre schwärmen davon, dass Quantencomputer einmal in der Lage sein könnten, selbst die schwierigsten Verschlüsselungen zu knacken. Weit bessere Simulationen, Verkehrssteuerungssysteme und andere Big-Data-Anwendungen könnten auch hinzukommen.
Doch das ist mehr Fiction als Science. Bisher ist nicht absehbar, dass die jetzt existierenden Quantencomputer irgendwelche nützlichen Aufgaben übernehmen könnten, die schon jetzt von Supercomputern erledigt werden.
Grundlagenforschung
Die Forschung will zunächst einmal beweisen, dass das Prinzip grundsätzlich funktioniert. Würde man die Entwicklung der Quantencomputer mit der Luftfahrt vergleichen, entspräche dies etwa den Versuchen der Gebrüder Wright mit ihrem selbstgebauten Segelgleiter.
So ist zum Beispiel noch nicht erwiesen, dass ein Quantencomputer überhaupt über Stunden, Tage oder gar Jahre stabil laufen kann. Zudem nutzen Quantencomputer ein grundsätzlich anderes Programmierschema als klassische Computer – es muss eine Software sein, die sich die vorhandenen Quanteneffekte auch zu Nutze macht, sonst bringt sie nichts.
Praktisch heißt das: Programmierer schreiben derzeit Programme ausschließlich zum Test des Rechners und für die Grundlagenforschung, nicht aber, um andere Aufgaben für die Welt jenseits der Quantenmechanik zu lösen. Und das wird für die nächsten Jahrzehnte wohl auch so bleiben.
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