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Trump oder Harris - Schicksalswahl auch für den Nahen Osten

15. Oktober 2024

Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl hat auch große Auswirkungen auf den Nahostkonflikt. Donald Trump lobt sich als "proisraelischsten Präsidenten", während Kamala Harris auf Interessenausgleich dringt.

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Demonstrierende an der Küstenpromenade in Tel Aviv - auf einem Schild steht "beendet diesen tödlichen Krieg", eine US-Flagge wird geschwenkt
Diese Israelis forderten Anfang März in Tel Aviv mehr Engagement der USA, um den Krieg im Nahen Osten zu beenden - ob das gelingt, kommt auf den oder die nächste Präsidentin anBild: Oded Balilty/AP Photo/picture alliance

Bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten wird wohl kaum eine Region so direkt die Auswirkungen der Präsidentschaftswahl zu spüren bekommen wie der Nahe Osten: Die ganze Region befindet sich seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 in einer Spirale der Gewalt - und die USA haben als engster Verbündeter Israels großen geopolitischen Einfluss auf die weiteren Entwicklungen.

Ob die Demokratin Kamala Harris ihrem Parteifreund Joe Biden ins Weiße Haus folgt, oder ob der Republikaner Donald Trump vier Jahre nach seiner Abwahl zurückkehrt, wird für den Nahen Osten von größter Bedeutung sein.

Trump als Verbündeter Israels

Trump sieht sich als den "am stärksten proisraelischen Präsidenten der US-Geschichte" - so heißt es jedenfalls in einem Video, das er auf seiner Plattform Truth Social postete.

Tatsächlich hat er als US-Präsident viele von Israels langgehegten Wünschen erfüllt: 2018 ließ Trump die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Andere Staaten, darunter Deutschland, haben unter Verweis auf die völkerrechtlich ungeklärte Situation Ostjerusalems bisher darauf verzichtet.

Seit März 2019 erkennen die USA auch die von Syrien annektierten Golanhöhen als israelisches Staatsgebiet an. Kurz darauf stellte Trumps Schwiegersohn und Sondergesandter Jared Kushner einen Friedensplan vor, der jedoch als einseitig zulasten der Palästinenser empfunden wurde.

Trump kürzte die Zahlungen für das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA und erschwerte Bürgern mehrerer muslimischer Staaten die Einreise. Im Herbst 2020 vermittelten die USA schließlich die Abraham Accords - eine Reihe von Verträgen, in denen Israel mehr als 70 Jahre nach Staatsgründung seine diplomatischen Beziehungen mit mehreren arabischen und nordafrikanischen Staaten normalisierte.

Ex-US-Präsident Trump empfängt Israels Regierungschef Netanjahu
Donald Trump empfing Benjamin Netanjahu im Juli in Florida - das Zerwürfnis von Ende 2020, als Netanjahu Joe Biden zum Wahlsieg gratulierte, den Trump nie offiziell anerkannte, scheint vergessenBild: Amos Ben Gershom/IMAGO/ZUMA Press Wire

Würde sich diese Linie bei einem Wahlsieg des Republikaners fortsetzen? "Trump wird sicherlich weiter auf Israel zugehen", meint Peter Lintl, Nahostexperte bei der hauptsächlich aus deutschen Steuergeldern finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik.

Vorstellbar sei, dass alle Pläne für ein Kriegsende weitgehend zugunsten Israels ausfallen würden. Zugleich erinnert Lintl an Trumps Warnung an den israelischen Premier Benjamin Netanjahu: Er drängte im April darauf, den Gaza-Krieg rasch zu beenden, da Israel angesichts der Bilder des Leids der Zivilbevölkerung "den PR-Krieg verlieren" würde.

Deswegen könnte es sein, "dass für Trump dieser Krieg ein Klotz am Bein werden wird, und dass er deshalb mehr Druck auf Netanjahu macht, als Biden das in den letzten Monaten konnte", sagt Lintl im Gespräch mit der DW.

Wahlkämpferin Harris unter Druck

Biden hatte mehrfach erfolglos versucht, Netanjahu von Militäroperationen wie der Bodenoffensive in Rafah im Gazastreifen abzubringen. Im März hatten die USA eine UN-Sicherheitsratsresolution zu einer Waffenruhe nicht - wie sonst bei israelkritischen Vorlagen üblich - per Veto blockiert.

Biden hatte durchaus Druckmittel in der Hand, glaubt Julien Barnes-Dacey, Direktor des Nahostprogramms bei der spendenfinanzierten Denkfabrik European Council on Foreign Relations. Er habe sie aber nicht ausspielen wollen.

"Die Frage ist: Wird Kamala Harris entscheiden, dass der Zeitpunkt gekommen ist, an dem die USA ihren politischen Einfluss auf Israel geltend machen und sie in Richtung einer Waffenruhe drängen? Werden sie zukünftige Militärhilfen, die für Israel sehr wichtig sind, an Bedingungen hinsichtlich einer Waffenruhe knüpfen?", sagt Barnes-Dacey im DW-Gespräch. Eine 180-Grad-Wende von Biden zu Harris erwartet er aber nicht.

USA Washington 2024 | Pro-palästinensische Demonstranten protestieren gegen Netanjahu vor dem US-Capitol in Washington
Für die Demokratin Kamala Harris ist Nahost im Wahlkampf ein schwieriges Thema: Sie braucht Stimmen von propalästinensischen wie proisraelischen WählernBild: Nathan Howard/REUTERS

In ihren öffentlichen Äußerungen gab sich Harris bislang moderat: Sie unterstrich Israels Recht auf Selbstverteidigung, beklagte aber "viel zu viele" getötete Zivilisten in Gaza. Sie forderte Deeskalation und eine Waffenruhe im Gazastreifen sowie im Libanon.

"Für Kamala Harris ist das ein schwieriges Feld", meint Peter Lintl. "Bei Trump ist klar: Er kann mit einer proisraelischen Politik das klassische Wählerklientel der Republikaner nicht verprellen. Bei Harris ist es ein bisschen anders, denn sie hat proisraelische Wähler, die sie verlieren kann."

Auf der anderen Seite habe Harris auch sehr israelkritische Wählerinnen und Wähler, die sie vielleicht nicht an Trump, aber ins Lager der Nichtwähler verlieren könne. "Und all das sind natürlich Situationen, die bei dieser knappen Wahl die Präsidentschaft kosten können, von daher hält sie sich da relativ bedeckt."

Dass Bidens Bemühungen um Deeskalation bislang erfolglos waren, könnte für Harris ein Problem darstellen, glaubt auch der in den USA lebende Analyst Mohammed Al-Satouhi: "Während der Konflikt sich nach Norden in den Libanon ausweitet und angesichts der großen Spannungen mit dem Iran die Angst vor einem regionalen Krieg wächst, schwindet Harris' Rückhalt bei amerikanischen Arabern und Muslimen, insbesondere im Swing State Michigan", sagt er der DW.

Angst vor Konfrontation mit Iran

Der Iran nimmt eine zentrale Stellung in der derzeitigen Gemengelage des Nahostkonflikts ein: Teheran hat in diesem Jahr nicht nur erstmals seinen Erzfeind Israel direkt angegriffen, sondern unterstützt auch israelfeindliche Akteure wie die Hisbollah im Libanon, die Hamas im Gazastreifen sowie die Huthi-Miliz im Jemen. Eine zusätzliche Bedrohung stellt das iranische Atomprogramm dar. Es wurde wieder aufgenommen, nachdem Trump 2018 aus dem JCPOA-Vertrag ausgestiegen war, den sein Amtsvorgänger Barack Obama unter der Formel Atomverzicht gegen Sanktionserleichterungen errungen hatte.

Schon damals verfolgte Trump eine Strategie des maximalen Drucks, um Iran zur Abkehr von feindlichen Aktivitäten auch gegen die USA zu zwingen. Dazu erließ er harte Wirtschaftssanktionen und befahl Anfang 2020 einen gezielten Drohnenschlag zur Tötung des hochrangigen iranischen Generals Ghassem Soleimani.

"Wenn man den Iranern einen Schlag versetzen will, muss man sie hart treffen", lobte Trumps Vizekandidat J.D. Vance dieses Vorgehen im Wahlkampf. Könnte ein republikanischer Wahlsieg auch eine direkte militärische Konfrontation mit dem Iran nach sich ziehen?

Israel Jerusalem | Objekte am Himmel nach iranischem Angriff
Im April griff der Iran erstmals Israel direkt mit ballistischen Raketen an - unter anderem das US-Militär unterstützte Israel bei der Abwehr der GeschosseBild: Ronen Zvulun/REUTERS

"Ich bin da eher skeptisch, dass das wirklich Trumps Wunschvorstellung wäre", sagt SWP-Wissenschaftler Peter Lintl. "Vielleicht einzelne Luftschläge, vielleicht unterstützt er stärker einzelne Militärschläge und Geheimdienstoperationen der Israelis. Ich denke aber, dass er davor zurückschrecken wird, in einen umfassenden Krieg mit US-Soldaten einzutreten."

Unterstützung oder Beteiligung an israelischen Luftschlägen, aber kein US-Truppeneinsatz im Iran - so sieht es auch Julien Barnes-Dacey vom ECFR. Trump würde zudem den wirtschaftlichen Druck weiter verstärken.

"Diesmal würden US-Sanktionen sehr viel strikter durchgesetzt, um sicherzustellen, dass Iran kein Raum für Ölgeschäfte mehr bleibt. Trump würde politischen, wirtschaftlichen und militärischen Druck bündeln, um Iran zu weitreichenden Kompromissen zu zwingen."

Kamala Harris hat als eine ihrer "obersten Prioritäten" ausgegeben, "dass der Iran niemals die Fähigkeiten einer Atommacht erlangt". 2019 forderte sie, das alte Atomabkommen wiederzubeleben - das hat sie seitdem nicht mehr wiederholt, bislang aber auch nicht erklärt, wie sie ihr Ziel gegenüber Teheran durchsetzen will.

Wie werden die Palästinenser eingebunden?

Ob Trump oder Harris - im Ringen um eine Stabilisierung im Nahen Osten wird der oder die nächste US-Präsidentin auch die wichtigste Mittelmacht am Golf einbeziehen wollen: Saudi-Arabien - der letzte verbliebene Staat in direkter Nachbarschaft, der Israel nicht offiziell anerkennt.

Für Trump wäre das Königreich das Kronjuwel der Abraham Accords gewesen, auch Biden bemühte sich intensiv um die Normalisierung der saudisch-israelischen Beziehungen.

Daran dürften also beide Präsidentschaftskandidaten weiter großes Interesse haben. Allerdings stellt Riad die Vorbedingung, dass zunächst ernsthafte Schritte für einen Palästinenserstaat unternommen werden müssten.

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Kamala Harris und ihr Vizekandidat Tim Walz würden klassische demokratische Positionen etwa zur Zwei-Staaten-Lösung und zur israelischen Siedlungspolitik einfordernBild: Anna Moneymaker/Getty Images

Die US-amerikanischen Demokraten treten klar für eine Zwei-Staaten-Lösung ein und verurteilen völkerrechtswidrige israelische Siedlungen im Westjordanland - unter Biden wurden einzelne Siedler gar auf die Sanktionsliste gesetzt. Hier liegt ein entscheidender Unterschied zu Trump, der ideologisch der rechtsreligiösen Netanjahu-Regierung nähersteht, die die Zwei-Staaten-Lösung vehement ablehnt.

Julien Barnes-Dacey sagt: "Das Harris-Team weiß, dass es einen politischen Deal mit den Palästinensern braucht, um Israels weitere Einbindung voranzutreiben - anders als das Trump-Lager, das letztlich glaubt, dass es Israel auf Kosten der Palästinenser einbinden kann."

Mitarbeit: Mohamed Farhan