Wirtschaft sieht Klimavertrag skeptisch
14. Dezember 2015Kommt nach der ersten Euphorie die Ernüchterung? Samstag war der Tag des großen Jubels. Am Ende der Klimakonferenz in Paris fielen sich Teilnehmer in die Arme. Zum ersten Mal haben es fast alle Länder der Welt geschafft, sich auf ein Klimaabkommen zu einigen. Viele Umweltschützer reagierten positiv, einige sogar euphorisch - auch wenn sich manche stärkere Verpflichtungen und mehr Hilfe für Entwicklungsländer gewünscht hätten. US-Außenminister John Kerry sagte, der Vertrag sende eine "Botschaft an die internationalen Märkte". Investoren würden nun verstärkt auf erneuerbare Energien setzen.
Im Nachgang gibt es jedoch zunehmend Bedenken. Kann das Ergebnis wirklich dazu führen, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen? Und wie wirkt sich das Klimaabkommen auf Unternehmen aus? Vor allem aus der Wirtschaft kommen kritische Stimmen.
"Leider bleibt das Abkommen in wesentlichen Punkten deutlich hinter dem zurück, was nötig wäre, um angemessene Klimaschutzanstrengungen fair und verbindlich zu vereinbaren", sagte Holger Lösch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) dem Handelsblatt.
Auch vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) heißt es, die konkreten Vereinbarungen seien wenig substantiell und führten nicht zu einer Minderung des globalen Treibhausgasausstoßes.
"Klimaschutz der zwei Geschwindigkeiten"
"Mit dem Abkommen fährt die Welt beim Klimaschutz mit zwei Geschwindigkeiten", kritisiert VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tilmann. In der EU gebe es bereits strenge Regeln zum Klimaschutz und man habe die ambitioniertesten Ziele. Dagegen wolle zwar auch der Rest der Welt das Klima schützen, mache aber nur das, was wirtschaftlich vertretbar sei, so Tilmann. Dadurch habe die europäische Industrie schon jetzt erhebliche Nachteile im internationalen Wettbewerb. "Das Abkommen bietet keine Grundlage für Deutschland und die EU, die Ziele und Maßnahmen zum Klimaschutz noch weiter zu verschärfen", meint Tilmann. Er fordert, dass die Länder außerhalb Europas ihre CO2-Emissionen stärker reduzieren.
Damit es nicht noch weiter zur Verlagerung von Produktion und Investitionen komme, müsse die EU die Reform des Emissionshandels angehen und dort einen wirksamen Schutz vor "Carbon Leakage" einbauen, heißt es vom VCI. Es müsse also verhindert werden, dass Unternehmen ihre Produktion aus Europa abziehen und in Regionen verlagern, in denen es weniger strenge Umweltauflagen gibt und in denen sie keine CO2-Zertifikate erwerben müssen.
Deutschland und Europa müssten "ihre Industrien vor ungleichen globalen Wettbewerbsbedingungen schützen", sagte Holger Lösch vom Bundesverband der Deutschen Industrie.
Freiwilligkeit der Maßnahmen bereitet Sorge
Die deutschen Maschinenbauer fürchten ebenfalls, dass die Unterschiede beim Klimaschutz zwischen den Regionen zu groß werden könnten. Es sei im weiteren Prozess wichtig, dieses Risiko zu beschränken, heißt es vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). "Für unsere Wettbewerbsfähigkeit brauchen wir einen ambitionierten, vorangehenden Heimatmarkt", sagt Naemi Denz, Mitglied der VDMA-Hauptgeschäftsführung. "Das bringt aber auch Belastungen. Deshalb müssen sowohl weitere Absatzmärkte als auch Wettbewerbsregionen rasch folgen." Auch die Unsicherheiten, die zum Beispiel in der weiteren Diskussion des Gesamtziels liegen, müssten schnellstmöglich ausgeräumt werden.
Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), hält die Freiwilligkeit der Maßnahmen für einen Fehler, wie er gegenüber dem Handelsblatt sagte. Kaum ein anderes Land würde auch nur ansatzweise bislang Deutschland auf dem Pfad der Energiewende folgen, so Schweitzer. Allerdings: Würden in der Staatengemeinschaft tatsächlich energie- und klimarelevante Investitionen getätigt, dann "ergeben sich für deutsche Unternehmen aber auch neue Geschäftschancen".
Neue Chance durch Klimaschutz
Große Chancen sieht Claudia Kemfert, Energieökonomin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Klimafreundliche Technologien aus Industriestaaten könnten in die Schwellenländer verkauft werden, denn erneuerbare Energien sind so billig wie nie zuvor, sagte Kempfert gegenüber der Deutschen Welle. Davon würden auch Schwellenländer wie Indien und China profitieren.
Neue Exportchancen erhofft sich auvch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Die Vereinbarung von Paris würde den Trend zum globalen Klimaschutz bestätigen, so Matthias Zelinger, energiepolitischer Sprecher des VDMA. Das sei ein wichtiges Signal für die deutsche Maschinenbauindustrie, denn zur Umsetzung der Klimaziele würden moderne und effiziente Anlagen und Lösungen gebraucht. Und die könnten von hiesigen Unternehmen geliefert werden.
Viele europäische Klimaschutz-Erfindungen kommen aus Deutschland
Weltweit hat sich die Zahl der Erfindungen im Bereich Klimaschutztechnologien von 1995 bis 2011 auf 51.000 nahezu verfünffacht, so ein Bericht des Europäischen Patentamtes (EPA) und des UN-Umweltprogramms, der am vergangenen Dienstag veröffentlicht wurde. Damit haben sie viel schneller zugenommen als in anderen technischen Bereichen.
In Deutschland wurden in dem untersuchten Zeitraum über 38.000 Patente zu nachhaltigen Technologien angemeldet, beim Zweitplatzierten Frankreich waren es nur 12.345. Weltweit tüftelt Europa etwas weniger als ein Fünftel aller Klimaschutz-Innovationen aus.
"Vieles spricht dafür, dass die Einführung von Klimaschutzmaßnahmen - wie Steuern auf Schadstoffemissionen oder Einspeisevergütungen für erneuerbare Energie - in vielen Ländern bei dieser Entwicklung eine Schlüsselrolle gespielt hat", schrieben die Autoren.
Finanzhilfen für Schwellenländer helfen auch deutschen Unternehmen
Der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer hält Investitionen in eine moderne Energieversorgung, effiziente und emissionsarme Produktionsstandorte und eine klimafreundlichere Abfallwirtschaft für schon lange überfällig. Nach dem Abkommen von Paris würden Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer solche Ausgaben nun tätigen, so der Verband.
Dass immer mehr Nationen "auch aufgrund der vielfältigen aber nun konkretisierten Finanzierungsinstrumente in einen substantiellen Wandel und technologische Lösungen investieren können, verstärkt einen weltweiten Trend", betont Naemi Denz. Hintergrund ist, dass die reichen Staaten Finanzen bereitstellen sollen, um den ärmeren beim Klimaschutz zu helfen - sowohl bei der Vorsorge vor Klimakatastrophen als auch beim Umbau der Energieversorgung.
Vorreiter und Leidtragende
Harsche Kritik kommt von der deutschen Stahlindustrie. Es sei überholt, zwischen Industrie- und Schwellenländern zu differenzieren, so Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Es helfe weder dem Klimaschutz noch den weltweiten Wettbewerbsbedingungen, wenn die EU ein Klimaziel von 40 Prozent bis 2030 zusage, während China seine CO2-Emissionen in diesem Zeitraum weiter steigere und gleichzeitig mit seinen Überkapazitäten die Stahlmärkte weltweit unter Druck setze.
Einseitige Belastungen für die Stahlindustrie in Europa müssten vermieden werden, um Verlagerungen von Produktion und Emissionen zu verhindern, so Kerkhoff. "Die EU-Kommission muss ihren Vorschlag zur Verschärfung des Emissionsrechtehandels in der Zeit nach 2020 zurückziehen und überarbeiten." Die Existenz der Stahlindustrie in Europa stehe auf dem Spiel.
Führende Unternehmen in Deutschland begrüßten in einer Erklärung das Abkommen als Wendepunkt hin zur globalen Energiewende. 34 große und mittelständische Unternehmen aus verschiedenen Branchen wollen demnach selbst den Klimaschutz vorantreiben und fordern von der Politik ambitionierte Rahmenbedingungen für die sogenannte Dekarbonisierung in Deutschland und in der EU. Der Begriff Dekarbonisierung bezeichnet einen weitgehenden Verzicht auf CO2-Emissionen, wurde aber im Klimavertrag von Paris vermieden.
Unterzeichnet wurde die Erklärung unter anderem von den Handelsriesen Metro und Rewe, dem Energiekonzern EnbW, den Sportartikelherstellern Adidas und Puma sowie der Commerzbank. "Wir verpflichten uns, die beginnende globale Trendwende als Vorreiter voranzubringen", versprachen die Unternehmen.