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Viel Politik

8. November 2011

Die russisch-europäische Gaspipeline durch die Ostsee hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch geostrategische Ziele. Das wichtigste Ziel ist wohl, die Abhängigkeit vom Gastransit durch die Ukraine zu verringern.

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Bundeskanzler Gerhard Schröder (r.) begrüßt den russischen Präsidenten Wladimir Putin am 8. September 2005 in Berlin (Foto: AP)
Putin und Schröder einigen sich über Ostsee-PipelineBild: AP

Energie und Politik sind heute eng miteinander verwoben. Oft ist schwer nachvollziehbar, welche Motive bei der einen oder anderen Investition ausschlaggebend sind: kommerzielle oder geostrategische. Die Nord Stream-Gaspipeline ist dafür ein gutes Beispiel.

"Das ist kein politisches, sondern ein kommerzielles Projekt, das aber sehr politisiert wird", sagt der Russland-Experte Alexander Rahr vom Berthold-Beitz-Zentrum der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. "Ich würde sagen, es ist beides. Es ist sowohl politisch als auch wirtschaftlich, und es ist sowohl wirtschaftlich als auch politisch sinnvoll", meint Josef Auer, Energie-Experte von Deutsche Bank Research in Frankfurt am Main.

Energieexperte Konstantin Simonow (Foto: National Energy Security)
Energie-Experte Konstantin SimonowBild: NESF

Konstantin Simonow, Leiter der russischen Stiftung für nationale Energiesicherheit, ist überzeugt, dass man Politik und Wirtschaft nicht trennen kann, erst recht nicht, wenn es um Energiefragen geht. Es gebe durchaus Projekte, die wirtschaftlich keinen Sinn machten, so Simonow. Aber bei der Nord Stream-Pipeline gehe es tatsächlich um Wirtschaft.

Nach Auffassung der Kritiker geht es dabei aber auch um Politik. Die Verlegung einer Pipeline auf dem Meeresgrund sei viel teurer als über Land. Die Einsparungen bei den Transitgebühren würden sich erst nach vielen Jahren rechnen. Deshalb würden die hohen Investitionskosten auch mit politischen Gründen gerechtfertigt.

"Heute ist Nord Stream akzeptiert"

Kritik an dem Projekt übten anfangs insbesondere die Ostsee-Anrainer. So verdächtigte Warschau Russland und Deutschland, sich gegen Polen verbündet zu haben. Stockholm befürchtete, eine Meeresplattform nahe der schwedischen Grenze - offiziell zum Betrieb der Pipeline gedacht – würde in Wirklichkeit der Spionage und sogar militärischen Operationen dienen. Auch deutsche Politiker äußerten die Sorge, die Pipeline könnte die Abhängigkeit von russischem Gas so weit erhöhen, dass Moskau die Preise diktieren und Berlin erpressen werde.

Aber all dies ist Vergangenheit: Die umstrittene Meeresplattform wurde nicht gebaut. Die meisten polnischen, deutschen, skandinavischen und baltischen Skeptiker konnten umgestimmt oder zumindest beruhigt werden. So sagte der polnische Premier Donald Tusk im Sommer 2011, Nord Stream und der erschwerte Zugang zu polnischen Häfen hätten anfangs in der polnischen Öffentlichkeit sehr für Emotionen gesorgt. "Da haben wir die Bestätigung auf höchster politischer Ebene bekommen - das steht auch in den Dokumenten - dass, sobald Polen Maßnahmen zur Vertiefung der Hafenanfahrt in Swinemünde und in Stettin ergreifen muss, auch die deutsche Seite entsprechende Maßnahmen treffen wird, um eventuelle Behinderungen auszuräumen", so Tusk.

Portrait von Alexander Rahr (Foto: DW)
Russland-Experte Alexander RahrBild: DW-TV

Für die polnische Seite sei das eine sehr wichtige Erklärung gewesen. Dass Nord Stream überhaupt zustande kam und alle Ostsee-Länder die erforderlichen Genehmigungen erteilten, sei nicht zuletzt ein Verdienst von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, meint Russland-Experte Rahr. "Ich denke, sein größter Erfolg ist, dass er sich mit Schweden und Dänemark einigen konnte", sagte er.

"Nord Stream ist längst ein europäisches Projekt geworden. Heute ist Nord Stream akzeptiert", betont EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Indem die EU im Jahr 2006 Nord Stream zu einem Projekt von gesamteuropäischem Interesse erklärte, machte sie es auch für Investoren wirtschaftlich attraktiver. Brüssel genehmigte ferner, Gas zu höheren Tarifen durch die Nord Stream-Pipeline zu pumpen als bei den meisten anderen Betreibern von Gasleitungen in der EU. Das wiederum ermöglichte Gazprom, den Kreis der Aktionäre um Unternehmen aus anderen europäischen Ländern zu erweitern.

Europäisch oder europäisch-russisch?

Die mit den deutschen Partnern abgesprochene Strategie der Internationalisierung des Projektes sei die wichtigste politische Errungenschaft, glaubt der russische Energie-Experte Simonow. "Nord Stream ist kein russisches Projekt und kein russisch-deutsches, wie es anfangs aussah. Nach dem Eintritt von Unternehmen aus Holland und Frankreich ist es ein europäisches Projekt", betont der Moskauer Experte.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt den Schwerpunkt etwas anders und spricht von einem "europäisch-russischen Projekt": "Davon profitieren beide Seiten. Für Europa ist das ein wichtiger Beitrag zur Gasversorgungssicherheit, und Russland gewinnt mit verlässlichen Abnehmern in Europa eine hohe Stabilität in der Gasnachfrage."

Die Ukraine als Verlierer

Josef Auer, Experte der Deutschen Bank (Foto: Josef Auer)
Josef Auer, Experte der Deutschen BankBild: Dr. Josef Auer

Zurzeit fließen noch rund 80 Prozent der russischen Gasexporte durch die Ukraine nach Westen und Südwesten. Daher stimmt es nicht ganz, wenn europäische Politiker versichern, dass Nord Stream sich gegen niemanden richte. Tatsächlich ist die Ukraine klar im Nachteil.

Wladimir Putin betonte am 6. September 2011 in Wyborg anlässlich der erstmaligen Einleitung von Gas in den ersten Strang der Nord Stream-Pipeline: "Die Ukraine ist unser langjähriger traditioneller Partner. Wie bei jedem Transitland gibt es die Versuchung, seine Transitlage auszunutzen. Jetzt verschwindet diese Exklusivität." Der Experte der Deutschen Bank, Josef Auer, meint in diesem Zusammenhang: "Das ist politisch zumindest aus westeuropäischer Sicht sicherlich vorteilhaft. Für die Ukraine ist das eine Herausforderung, in Zukunft doch den Gastransport und die Bezahlung sicherer zu stellen."

Die Abhängigkeit vom Transit durch die Ukraine sei inakzeptabel hoch, meint der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der jetzige Chef des Nord Stream-Aufsichtsrates sagte im Sommer 2011 vor Mitarbeitern des Unternehmens Wintershall in Kassel: "Das ist der wahre Grund, warum man hergegangen ist und gesagt hat, wir werden dieses Pipelineprojekt durchführen."

Autor: Andrey Gurkov / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Bernd Johann