Finanzielles Risiko?
8. November 2011Ursprünglich hatte der staatliche russische Monopolist Gazprom mit seinen deutschen Partnern BASF/Wintershall und E.ON für den Bau der Nord Stream-Pipeline von Russland nach Deutschland etwa vier Milliarden Euro veranschlagt, jeweils zwei Milliarden für jeden der beiden Stränge der Leitung. Doch während des Baus der Pipeline durch die Ostsee stiegen die Kosten auf 7,4 Milliarden Euro. Das Projekt wird zu 70 Prozent mit Krediten von mehr als 20 Banken finanziert. 30 Prozent der Kosten decken die Aktionäre mit Eigenkapital.
Angesichts steigender Weltmarktpreise für Metalle sei der Kauf von 200.000 Rohren aus hochwertigem Stahl besonders teuer gewesen, sagt Jens Müller, Pressesprecher der Nord Stream AG. Die Rohre mit einem Gewicht von jeweils 12 Tonnen sowie weiteres Leitungsmaterial seien mit einem Volumen von drei Milliarden Euro wesentlicher Bestandteil der Gesamtkosten. "Der nächste größere Bereich an Kosten ergibt sich mit der gesamten Pipelineverlegung, wo wir unter anderem drei Verlegeschiffe besonderer Art einsetzen. Das macht ein Volumen von circa zwei Milliarden aus", so Müller. Ferner werde viel Geld für die Kontrolle der Verlegearbeiten, die Zertifizierung und das Personal ausgegeben.
Nord Stream-Betreiber optimistisch
Die Ostsee-Pipeline ist ein Transportunternehmen. "Nord Stream verkauft kein Gas, sondern bekommt Transportgebühren für die Gasmengen, die durch diese Leitungen transportiert werden", erläutert Müller. Das Projekt sei auf mindestens 50 Jahre ausgelegt. "Unter Berücksichtigung der langen Lebensdauer dieses Projekts wird die Amortisierung nicht sehr lange dauern", glaubt der Nord Stream-Pressesprecher.
Matthias Warnig, Geschäftsführer des deutsch-russischen Gaspipeline-Konsortiums, ist überzeugt, dass sich die Leitung schon nach 14 bis 15 Jahren amortisiert, allerdings nur bei voller Auslastung der Kapazität. Diese komplette Pipelinekapazität ist derzeit an Gazprom-Export vermietet. Diese Vereinbarung sei die Geschäftsgrundlage für Nord Stream. Die russische Seite zahle für 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, egal, ob sie das Gas schicke oder nicht, stellt Warnig in der deutschen Zeitschrift "Wirtschaftswoche" klar.
Wird die volle Auslastung erreicht?
Zurzeit liegen nach Warnigs Angaben Lieferverträge über 22 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr vor. Durch jede der beiden Pipeline-Stränge können aber jährlich 27,5 Milliarden Kubikmeter Gas fließen. "Das ist eine typische Situation. So große Pipelines werden in der Regel nur gebaut, wenn die Hälfte der Kapazitäten mit langfristigen Verträgen ausgelastet ist", sagt Wladimir Fejgin, Leiter des russischen Instituts für Energie und Finanzen. Er rechnet aber mit weiteren Verträgen. Auf dem europäischen Gasmarkt würden sie immer öfter kurzfristig geschlossen.
Auf Schwankungen bei der Nachfrage werde Gazprom dank der Nord Stream-Pipeline jetzt flexibel reagieren können, meint Fejgin. Auch werde man einen Teil des Gases, das derzeit durch Belarus oder die Ukraine fließe, umleiten und dabei gleichzeitig Transitgebühren sparen können. Der Experte ist überzeugt, dass es bei der Auslastung der Nord Stream-Pipeline keine Probleme geben wird.
Veränderte Gas-Nachfrage
Das Nord Stream-Konzept ging von einem deutlichen Anstieg des Gasverbrauchs in Europa und steigenden Gaspreisen aus. Doch in den letzten Jahren veränderten sich die Strom- und Gasmärkte in Europa dramatisch: die Europäische Union setzt auf die beschleunigte Entwicklung alternativer Energien und auf massives Energiesparen. Gleichzeitig nahmen die Importe von verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas - LNG) in EU-Staaten zu. Dies führte zu einem deutlichen Rückgang der Gaspreise.
"Wir erwarten eigentlich für Europa, insbesondere für Deutschland, kein Anziehen der Gasnachfrage, in anderen Regionen der Welt aber schon, und das könnte die Preise dann doch nach oben ziehen", meint Josef Auer von Deutsche Bank Research in Frankfurt am Main. Langfristig habe deswegen die Nord Stream-Leitung, so der Experte, gute Aussichten. Erst recht, weil in den kommenden zwei Jahrzehnten in Großbritannien und den Niederlanden die Gasförderung deutlich zurückgehen werde. Ob die Briten und Niederländer dann auf Gas aus Russland setzen werden, steht aber längst noch nicht fest. Das größte wirtschaftliche Risiko der Nord Stream-Pipeline ist, dass die Europäer in Zukunft russisches Gas nicht in den Mengen und vor allem nicht zu den Preisen abnehmen werden, mit denen man in Moskau gerechnet hatte.
Autor: Andrey Gurkov / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Bernd Johann