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Politik

"Zunehmende Polarisierung in Indonesien"

22. Mai 2019

Die Krawalle mit Toten in Jakarta zeigen: Trotz der erfolgreichen Mammutwahlen im April steht die indonesische Demokratie vor großen Herausforderungen. Die DW sprach darüber mit dem Experten Felix Heiduk.

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Indonesien Jakarta Ausschreitungen nach Joko Widodo Wiederwahl
Bild: Reuters/W. Kurniawan

Deutsche Welle: In Jakarta ist es nach Verkündung der Wahlergebnisse zu gewaltsamen Protesten gekommen. Sie sind deutlich größer als vor fünf Jahren, als Joko Widowo, genannt Jokowi, seinen Herausforderer Prabowo Subianto schon einmal geschlagen hatte. Was bedeutet das für die politische Entwicklung des Landes?

Felix Heiduk: Das muss man im Kontext einer zunehmenden Polarisierung in Indonesien verstehen. Diese Proteste kommen nicht aus heiterem Himmel. Auf der einen Seite stehen Prabowo und die Allianz, die er als Ultranationalist und ehemaliger Militär mit einer Reihe von islamistischen Gruppen eingegangen ist. Auf der anderen Seite Jokowi, ursprünglich ein moderater Reformer, der aber im Wahlkampf durch die Nominierung des Vizepräsidenten Ma'ruf Amin, der ein konservativer Muslim ist, versucht hat, Teile der konservativen Muslime auf seine Seite zu ziehen. Das ist mit Blick auf die Wahlergebnisse zum Teil gelungen.

Jokowi wird mit einem konservativen Vizepräsidenten das Land weitere fünf Jahre regieren: Was für eine Politik ist davon zu erwarten?

Schon während der ersten Amtszeit Jokowis hat er sich keineswegs als liberaler Reformer gezeigt. In der Realpolitik hat er weder versucht, die oligarchischen Verkrustungen Indonesiens in Politik und Wirtschaft aufzubrechen, noch hat er sich für die Menschen- oder Bürgerrechte, die Presse- oder Meinungsfreiheit eingesetzt. Mit einem konservativen Vizepräsidenten und aufgrund der aktuellen Demonstrationen ist anzunehmen, dass er allein aus taktischen Erwägungen noch mehr Zugeständnisse wird machen müssen. Es wird vermutlich eine noch stärker konservativ ausgerichtete Politik geben.

Deutschland Felix Heiduk Asien-Experte der SWP
Felix Heiduk von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): Jokowi wandelt auf einem schmalen Grat Bild: Stiftung Wissenschaft und Politik

Spannung zwischen Moderne und religiöser Tradition 

Handelt es sich bei Jokowis Einbeziehung konservativer Kräfte möglicherweise um einen geschickten Schachzug, um das Land vor einer tieferen, womöglich gewalttätigen Spaltung zu bewahren?

In Bezug auf den Wahlausgang und das Wahlergebnis war das sicher ein geschickter Schachzug. Er hat Stimmen in Regionen bekommen, die er beim letzten Mal verloren hat, mit Ma'rufs Unterstützung. Bedeutet das nun, dass er erfolgreich eine Brücke gebaut hat? Da bin ich nicht so sicher. Wenn man das historisch betrachtet, dann hat es die Spaltung des Landes seit der Republikgründung und auch schon davor gegeben. Sie spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen auf regionaler Ebene wieder. Es geht um die philosophisch-religiöse Grundfrage: Was wollen wir für einen Islam und welche Stellung soll er in der Politik haben? Teile Indonesiens befürworten eine konservative Ausrichtung, andere eine liberale. Diese Frage stellt sich übrigens nicht nur für Indonesien, sondern auch für andere muslimische Länder wie Ägypten.

Anders gesagt, wie bringt man Moderne und religiöse Traditionen zusammen? Ich meine, Indonesien hat das über eine funktionierende Demokratie mit Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit bisher gut hinbekommen.

Indonesien Proteste Wahlergebnis
Sicherheitskräfte vor der Wahlüberwachungsbehörde in Jakarta Bild: DW/R.A. Putra

Welche Möglichkeiten hat Jokowi, um mit der Polarisierung umzugehen, sie womöglich zu verringern?

Ich sehe drei Ansätze, die Jokowis Regierung verfolgen kann, um mit der Spaltung umzugehen: Kooptierung, Zugeständnisse und Repression.

Es gibt ja schon jetzt Berichte, dass Prabowo und seiner Gefolgschaft bestimmte Posten und Beteiligungen an der neuen Regierung angeboten worden sind. Das hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Mit einer Art Kuhhandel werden Ministerposten, staatliche Ressourcen  usw. an das ideologisch eigentlich feindliche Lager gegeben und auf einmal entsteht eine Allianz.

Zweiter Ansatz sind Zugeständnisse an das konservative muslimische Lager,  zum Beispiel eine stärker an der Scharia orientierte Wirtschaftspolitik. Bereits 2018 wurde ja schon ein sogenannter "Scharia Economic Masterplan" verabschiedet, der unter anderem staatliche Mikrokredite an mit der Scharia konforme Unternehmen vergibt.

Drittens, und das hat es in den letzten fünf Jahren auch schon gegeben, bsteht die Möglichkeit der Repression. Unter Jokowi gab es eine stärkere Instrumentalisierung staatlicher Institutionen im Sinne der Partikularinteressen der Regierung.

Neutralität der Gerichte und Institutionen nicht immer geachtet

Wie ist die Wut der Wahlverlierer zu erklären, und wie muss Jokowi darauf reagieren?

Die Wahrnehmung vieler Unterstützer Prabowos ist, dass sie keinerlei Chance haben, in einem demokratischen Wettbewerb zu punkten. In dieser Wahrnehmung wurden sie durch Prabowos Ankündigung, dass er das Wahlergebnis nicht akzeptieren werde, noch bestärkt. Die staatlichen Institutionen, so ihre Überzeugung, seien unfair, parteiisch und arbeiteten gegen sie.

Und es stimmt, dass Jokowis Regierung die Neutralität der Gerichte und Institutionen nicht immer geachtet hat. So wurden z.B. islamistische Organisationen nicht von Gerichten verboten, sondern per Dekret durch den Präsidenten. Damit untergräbt die Regierung die eigentliche Stärke der Demokratie und gibt ihren Gegnern, darunter Prabowo, Argumente an die Hand. Prabowo stilisiert sich als Opfer und behauptet, ihm bliebe keine andere Wahl, als den Kampf auf der Straße auszutragen.

Die Frage ist hier, wie viel Widerspruch muss und kann die indonesische Demokratie aushalten? Der Regierung Jokowi wandelt diesbezüglich derzeit auf einem schmalen Grat zwischen Wahrung der pluralistischen Verfassung, auch qua staatlicher Repression, gegenüber islamistischen Kräften einerseits, und Zugeständnissen an zumindest Teile des islamistischen Lagers andererseits, um so den politischen Druck zu entschärfen. Gelingt ihr dies nicht, so könnte die Polarisierung der Politik weiter zunehmen..

Der Politologe Felix Heiduk forscht für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Sein regionaler Schwerpunkt ist Südostasien, insbesondere Indonesien, Philippinen und Thailand.

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.

 

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia